Alter, die hat mir das privat geschickt

Snapchat ist ja im Augenblick das große Thema. aUtmrYLX.jpg-largeDabei wirkt es auf mich, als könnten die Meisten gar nichts damit anfangen. Sie adden sich gegenseitig, um die App beim gemeinsamen Ausprobieren zu verstehen, schicken sich aber eigentlich nur Selfies mit lustigen Masken.
Zugegeben bin ich anfänglich auch nicht viel weiter gekommen. Ich hatte noch nicht einmal die Filter für die Masken gefunden, dachte aber, irgendwer wird irgendwann schon etwas Vernünftiges sagen, das weiterhilft. Doch nichts geschah, jedenfalls nicht in meinem Umfeld. Da wandte ich mich schließlich an diejenigen, die sich mit Snapchat wirklich auskennen: Die Konfirmandinnen und Konfirmanden.

Die schlugen mir kurzerhand vor, bei ihnen einzusteigen. Ausgemacht ist, dass ich mich mit denen, die mögen, wechselseitig adde. Und dass ich über die Inhalte der Snaps nicht petze, solange darin nicht irgendetwas richtig Schlimmes vorkommt wie Drogen oder Mobbing. Ich darf außerdem Fragen stellen, wenn ich welche habe, und die Konfis können meinen Account anderen Leuten zeigen oder empfehlen. Es ist quasi ein Dienstaccount, weshalb ich ihn mit meinem Klarnamen und einem Foto von mir einrichtete. Dann ging’s los.

HO8KgirE.jpg-largeIch machte vor dem Vorstellungsgottesdienst ein Selfie von mir in der Sakristei (Bildausschnitt oben) und schickte es an drei Konfis im Gemeindesaal nebenan, damit wir es gemeinsam angucken konnten. Einer zückte sein Smartphone und versuchte meinen Snap zu finden. Das dauerte länger als erwartet, bis er ihn endlich hatte und mit folgenden Worten kommentierte: „Alter, die hat mir das privat geschickt!“

Die private Zusendung des Bildes war offenkundig falsch. Und ab da fing ich an, Snapchat zu verstehen: Ähnlich wie bei Facebook in der Chronik oder bei Twitter in der Timeline bringt man das, was man so snapt, erstmal in den „Geschichten“ unter, wo es alle Snapchat-„Freunde“ sehen. Persönliche Angelegenheiten, welcher Temperatur auch immer, werden per Direktnachricht oder Chat hinter den Kulissen geklärt, auch das ist wie bei Facebook oder Twitter.

Die einzelnen Snaps sind kurz: Immer ein aktuelles Pic, teOVWRDx.jpg-largevielleicht ein wenig Text (bis 54 Zeichen), eventuell ein Filter. Das dann als Einzelbild, lose Bilderfolge oder regelrechte Bildergeschichte. Wer von den „Freunden“ den Snap angesehen hat, wird auf einen Klick hin angezeigt. Außerdem kann man noch kleine Videos drehen, das ist ja gerade in. Das war’s im Wesentlichen.

Es ist darum kein Wunder, dass fast alle Erwachsenen, die ich aus den Sozialen Medien kenne, Snapchat nicht brauchen und daher meinen, sie würden es nicht begreifen. Sie machen diese Sachen nämlich bereits bei Twitter, Facebook oder WhatsApp. Da benötigen sie kein weiteres Tool, einerlei ob es ein bisschen mehr kann oder weniger. Denn der Mechanismus „ich poste kleine Botschaften für ‚alle‘ und manchmal auch privat“ bleibt derselbe. Zudem hält man sich bekanntlich da auf, wo man seine Leute findet. Bei mir ist das als Haupttool Twitter, privat bis familiär Facebook und in der Konfirmandenarbeit Snapchat. Es bringt nichts, diese Treffpunkte durcheinander zu werfen.

Gerne wird an Snapchat bemängelt, dass es so exklusiv wäre. Entweder man wüßte die Namen von anderen Snappern oder man bliebe allein auf weiter Flur. Aus der Perspektive der Konfirmand_innen ist das bedeutungslos. Ihrem Alter entsprechend (13 bis 14 Jahre) orientieren sie sich noch direkt an ihrer Umgebung und vernetzen sich in der Regel nur mit Leuten, die sie kennen. Von allem darüber hinaus haben sie noch keine Vorstellung.

QZiqUR9xAber auch später kann man nur finden, was man zu suchen weiß. Was oder wen man kennt, ist bei allen Tools schnell entdeckt. Wo man findet, was man kennenlernen möchte, ist hingegen ein Lernprozess. Ich erinnere mich gut daran, wie das auf Facebook war, bis ich den Bogen raus hatte; viel mehr noch bei Twitter, das ja auch nicht sonderlich intuitiv ist. In anderen Tools kann ich es bis heute nicht. Ich verstehe z.B. nicht, wie die Jugendlichen diese ganzen berühmten YouTuber gefunden haben und woher sie wissen, dass es ausgerechnet dieser und kein anderer sein muss. Bei Twitter ist mir derselbe Mechanismus sonnenklar und bei Snapchat wird es vermutlich irgendwann genauso sein.

Dass man bei Snapchat nichts liken kann, wird ebenfalls häufig moniert. Aber wozu auch? Die App zeigt an, wer meine Geschichten gesehen hat, für jeden Snap einzeln. Davon abgesehen gehe ich einfach davon aus, dass ich auch ohne Herzchen oder Daumen hoch richtig verstanden wurde, so wie das früher beim Briefeschreiben war.

Bezogen auf die Funktionen und die Filterbubble ist Snapchat also konsequent auf die Grundfunktionen „runtergedacht“. Ein kleines Bild, ein kurzer Gruß, eine Bildergeschichte aus der Abfolge eines Ereignisses. Die Formalitäten des Likens und öffentlichen Archivierens fehlen.
„Aber das macht man doch so, dass man etwas lobt, später nochmal nachliest, auf den Zusammenhang achtet“, ruft die Netzgemeinde im Chor. Das ist Social Media wie bei Muttern. Die Kinder machen es anders.